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Der vermeidbare Krieg
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Ab sofort im Handel: Ein Krieg zwischen China und den Vereinigten Staaten hätte katastrophale Folgen. Leider ist er nicht länger undenkbar, schreibt Kevin Rudd, ehemaliger Premierminister Australiens und China-Experte. Die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten werden immer instabiler, der Graben zwischen ihnen immer tiefer. Kulturelle Missverständnisse, historische Animositäten und ideologische Inkompatibilität tragen dazu bei. Doch ein geopolitisches Desaster lässt sich vermeiden — allerdings nur, wenn die beiden Giganten einen Weg der Koexistenz finden, der ihre Kerninteressen wahrt.
«Xi Jinping glaubt, das Ende der amerikanischen Vorherrschaft zu erkennen, und setzt, wie Rudd nachweist, auf eine aktive geopolitische Neuordnung durch wirtschaftlichen und militärischen Einfluss in Europa, Afrika, Lateinamerika und der Arktis.»
«Rudd analysiert Chinas krude Strategien mitunter brutal klar, und er vertritt vernünftige Standpunkte.»
«Rudd macht gut durchdachte Vorschläge, um ein ‹globales Blutbad› zu verhindern.»
Excerpt
Ich wünschte, ich hätte dieses Buch nicht schreiben müssen. Ich bin gerade alt genug, um mich an die alljährlichen Paraden am ANZAC-Tag zu erinnern – ANZAC steht für «Australian and New Zealand Army Corps» –, die in der Kleinstadt abgehalten wurden, in der ich aufwuchs. Ich ging mit meinem Vater hin, der am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte, und mir ist noch im Gedächtnis, wie ich Seite an Seite mit Männern in ihren 70ern marschierte, deren Schritt schon nicht mehr ganz so sicher war und die im Ersten Weltkrieg mitgekämpft hatten. Einer von ihnen, erzählte mir mein Vater, litt immer noch an einem Kriegstrauma.
Es gab keine zwangsläufige Entwicklung, die in den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 führte. Der Krieg brach aus als Folge der schlechten Entscheidungen, die die politischen und militärischen Führungen im Juli und August 1914 trafen. Sie führten zu dem großen Blutvergießen. Jene Entscheidungen kosteten 40 Millionen Menschenleben, darunter die von 117000 Amerikanern, 60000 Australiern und von über zwei Millionen Deutschen. Die Entscheidungen, wie man mit den Verlierernationen umging, legten dann die Lunte für die nächste globale Auseinandersetzung, die so grauenvoll ausfiel, dass an deren Ende 85 Millionen Tote – drei Prozent der damaligen Weltbevölkerung – standen.
Wenn ich an die großen totbringenden Kriege des vergangenen Jahrhunderts denke, fühle ich mich verantwortlich, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um ein weiteres globales Blutbad riesigen Ausmaßes zu verhindern. Um dies zu erreichen, müssen wir allerdings nicht nur den Frieden erhalten, sondern auch die nationalen und individuellen Freiheiten bewahren, für die unsere Vorfahren seit der Aufklärung über Jahrhunderte gekämpft haben. Wir müssen stets das Debakel von Großbritanniens Premierminister Neville Chamberlains Erklärung in Erinnerung behalten, als er, nachdem der das Sudetenland auf der Münchner Konferenz von 1938 Hitler ausgeliefert hatte, davon sprach, er sei mit einem „ehrenhaften Frieden“ nach London zurückgekehrt; die Britinnen und Briten rief er auf, «nach Hause zu gehen und ruhig in Ihren Betten zu schlafen». Die unangenehme Wahrheit lautet, dass es niemals Frieden um jeden Preis geben kann.
Dies führt uns zu der sich stetig verschärfenden Krise der Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten. Die 2020er Jahre sind das entscheidende Jahrzehnt für die Dynamiken der sich wandelnden Kräfteverhältnisse zwischen ihnen. Sowohl die chinesischen als auch die amerikanischen Strategen wissen das. Für Politikerinnen und Politiker in Peking wie in Washington, und auch für diejenigen in anderen Hauptstädten, werden die 2020er Jahre eine Dekade sein, in der man «gefährlich lebt». Hinter den Kulissen sind die Einsätze niemals höher, der Wettbewerb niemals schärfer gewesen, was auch immer das politische und diplomatische Personal öffentlich erklären. Sollten diese beiden Giganten einen Weg finden, zu koexistieren, ohne ihre jeweiligen Kerninteressen verletzt zu sehen – was ich «gemanagter strategischer Wettbewerb» genannt habe –, könnte die Welt aufatmen. Sollten sie scheitern, dann droht am Ende des anderen Pfades die Gefahr eines Krieges, der die Zukunft beider Länder und die der Welt in einer Art und Weise neu schreiben würde, die wir uns kaum vorstellen können.